Quantcast
Channel: Politik – Sprachlog
Viewing all articles
Browse latest Browse all 9

In der Wahrheit liegt die Lüge

$
0
0

Eine Arbeits– und Sozialministerin, die Bestechungsgelder annimmt, um ihre Heroinsucht zu finanzieren, muss sofort zurücktreten. Wenn wir uns so etwas aus falsch verstandenem Gutmenschentum heraus gefallen lassen, spaltet das unsere Gesellschaft, und die Stimmung kippt sowieso. Nein, gleiche Regeln für alle, da kann es keine Diskussion geben.

Natürlich kommen jetzt gleich die Einwände aus der immer gleichen Richtung: Es gebe doch gar keine Hinweise darauf, dass unsere Arbeits– und Sozialministerin Bestechungsgelder annimmt oder Heroinsüchtig sei. Natürlich nicht, ich rede doch nicht über eine bestimmte Person! Ich habe den höchsten Respekt vor Andrea Nahles und ihrer Arbeit. Ich bin mir sicher, dass die meisten Arbeits– und Sozialministerinnen weder Drogen nehmen, noch bestechlich sind.

Ich sage ja nur: Wenn eine Arbeits– und Sozialministerin Bestechungsgelder annimmt, um ihre Heroinsucht zu finanzieren, dann muss sie zurücktreten. Das muss man sagen dürfen. Das Schweigekartell bezüglich drogensüchtiger, korrupter Ministerinnen ist unerträglich.

Stimmungsmache mit Banalitäten

Wenn Politiker/innen offen gegen Flüchtlinge hetzen, z.B., wenn sie fordern, sie gleich an der Grenze zu erschießen, dann zieht das (zum Glück) noch flächendeckende Entrüstung nach sich – selbst die NPD distanziert sich da hastig. Gefährlich sind solche Forderungen trotzdem, weil sie jede auch nur minimal weniger extremistische Position plötzlich als moderat dastehen lassen.

Mindestens genauso gefährlich ist aber eine viel subtilere Form der Stimmungsmache, nämlich die, mit der ich in diesen Beitrag eingestiegen bin. Die funktioniert so: Man sagt etwas absolut Triviales, gegen dessen Inhalt und Wortwahl sich im Prinzip nichts sagen lässt.

So, wie Andrea Nahles, die vorgestern in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Folgendes geschrieben hat:

Wer signalisiert, dass er sich nicht integrieren will, dem werden wir die Leistungen kürzen. Aus meiner Sicht sollte man das auch an die Wahrnehmung von Sprachkursen knüpfen und daran, sich an die Grundregeln unseres Zusammenlebens zu halten.

Trivial ist das deshalb, weil der Bezug von Sozialleistungen ohnehin an die Bedingung geknüpft ist, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Diesen Mechanismus könnte man sicher kritisieren, aber solange er gilt, lässt sich wenig dagegen sagen, ihn auch auf Flüchtlinge anzuwenden.

Stimmungsmache ist es aber trotzdem: Kommunikation besteht nicht aus einem reinen Informationsaustausch, bei dem Aussagen danach bewertet werden, ob sie wahr oder falsch sind. Dieser Informationsaustausch ist eingebettet in eine Reihe von impliziten Annahmen über das Verhalten unserer Gesprächspartner/innen. Zum Beispiel gehen wir grundsätzlich davon aus, dass unser Gegenüber sich an die Maxime der Relevanz halten, die lautet: Sei relevant, vermeide Gesprächsbeiträge, die nicht zum Thema gehören.

Diese Maxime ermöglicht es uns im Alltag ständig, effektiv zu kommunizieren, zum Beispiel in folgendem Dialog:

A: Kommst du heute Abend mit ins Kino?
B: Ich muss für morgen noch einen wichtigen Bericht fertig schreiben.

Betrachtet man Bs Aussage für sich, scheint sie keine Antwort auf As Frage zu sein: Mögliche Antworten wären „Ja“, „Nein“ oder „Mal sehen“. Weil A aber davon ausgehen kann, dass Bs Aussage einen relevanten Bezug zum Thema hat, versteht A, dass B einen Bezug zwischen dem Bericht und dem potenziellen Kinobesuch herstellt, und damit so etwas sagen will, wie „Nein, ich habe keine Zeit, weil ich für morgen noch einen wichtigen Bericht fertig schreiben will.“

Diese Maxime missbrauchen Politiker/innen, um mit Trivialitäten politische Stimmung zu erzeugen. Wer Nahles' Gastbeitrag liest, bewertet nicht nur die Aussage an sich, sondern nimmt zusätzlich an, dass es sich um einen relevanten Beitrag zur aktuellen Diskussion handelt. Aber worin besteht diese Relevanz? Sie kann nur darin bestehen, dass Nahles hier eine Lösung für ein drängendes Problem präsentiert.

Nahles tut also viel mehr, als die offensichtliche Aussage zu machen, dass nur diejenigen Sozialleistungen bekommen, die die Bedingungen erfüllen: Sie suggeriert, dass es eine nennenswerten Anzahl an integrationsunwilligen Flüchtlingen gibt – groß genug, um einen Gastbeitrag in der FAZ zu rechtfertigen.

Das klingt besser, als den Abschuss von Flüchtlingen zu fordern, aber es trägt umso mehr zu deren Dämonisierung und zur kippenden Stimmung in der Gesellschaft bei.

Tatsächlich wäre mir eine korrupte, drogensüchtige Arbeits– und Sozialministerin fast lieber.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 9

Latest Images





Latest Images